Präsident der KMK im Jahresrückblick: Bildungspolitische Arbeit in föderaler Verantwortung effektiv wahrgenommen.
Die KMK hat im Jahr 1997 ihre bildungspolitische Arbeit in föderaler Verantwortung effektiv und seriös wahrgenommen. Sie hat eine Vielzahl von wichtigen Beschlüssen gefasst, die in der Ländern umgesetzt werden; sie hat in zentralen Fragen der Weiterentwicklung der beruflichen Bildung und der Hochschulentwicklung die Initiative ergriffen und spielt in grundsätzlichen Fragen der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens eine konstruktive Rolle.
Die Komplexität des gesamten Bildungswesens und seiner Interdependenzen sowie die Abstimmungsnotwendigkeiten von 16 Ländern entziehen sich allerdings häufig dem schnellen journalistischen Zugriff. Dennoch sollten die Geschmeidigkeit der Arbeitsweise der KMK in der Phase der Umstrukturierung des DDR-Bildungswesens, die Anpassungsleistungen und die Flexibilität der KMK in der Bewältigung neuer Herausforderungen nicht übersehen werden. Die KMK wird weiterhin die Gewähr bieten, dass in Deutschland ein leistungsfähiges Bildungssystem erhalten und weiterentwickelt wird. Ihre Entscheidung zur gymnasialen Oberstufe, zu den Standards in der Sekundarstufe I sowie zu den künftigen schulischen Vergleichsuntersuchungen belegen dies. Die KMK weiß allerdings, dass sie die aus der finanziellen Enge der Steuereinnahmen und der Entwicklung des Arbeitsmarktes resultierenden Probleme mit ihren Mitteln allein nicht lösen kann. Sie verwahrt sich gegen oberflächliche Verurteilungen ihrer Arbeit. In der KMK gibt es keinen Beschlussstau.
Zu den wichtigsten bildungspolitischen Themen, mit denen sich die KMK 1997 beschäftigt hat, gehören:
1. Die Weiterentwicklung der Berufsbildung in Deutschland. Hierzu hatte die KMK bereits 1996 eine Staatssekretärskommission eingesetzt, die für ein Spitzengespräch mit Vertretern des Bundes, der Tarifpartner, der Lehrerverbände und der kommunalen Spitzenverbände in Wolfsburg im Mai 1997 Grundsätze erarbeitet hatte.
Im allgemeinbildenden Schulwesen hat die KMK Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungsreife eingeleitet. Dabei geht es insbesondere darum, die Grundqualifikationen im Rechnen, Lesen, Schreiben und Kenntnisse in einer Fremdsprache stärker in das Blickfeld der allgemeinbildenden Schulen zu rücken, sowie die Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen zu verstärken.
Als Partner im dualen System der Berufsausbildung hat die KMK Vorschläge zu dessen Weiterentwicklung gemacht und mit dem Bund, den Sozialpartnern und weiteren Länderministerkonferenzen diskutiert. Die Initiative der KMK hat die Zielsetzung, durch Reformen des dualen Systems die Ausbildung für Innovationen aufnahmefähiger zu gestalten. Dies bedeutet gleichzeitig eine Steigerung der Attraktivität der dualen Ausbildung für die Betriebe, eine Erhöhung der Ausbildungsbereitschaft und damit eine Zunahme der Anzahl der Ausbildungsplätze.
Die von der KMK im Jahre 1996 und 1997 durchgeführten Veranstaltungen haben u.a. zu der Feststellung geführt, dass die Geschwindigkeit des technisch-organisatorischen Wandels besonders für den Bereich der Industrie eine Straffung der fachlichen Inhalte und offenere Gestaltung der Ausbildungsordnungen erfordert. Prozesswissen und Schlüsselqualifikationen in der Erstausbildung müssen Vorrang vor Spezialisierung haben, um die Arbeitsmarktfähigkeit der erworbenen Qualifikationen in einer sich schnell verändernden Berufswelt dauerhaft zu sichern. Flexiblerer Einsatz der Fachkräfte, breite Verwertung der Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt und Orientierung für die berufliche Weiterbildung sind nach Auffassung der KMK die Vorteile einer Weiterentwicklung des dualen Systems in diese Richtung. Die Vorschläge der KMK gehen dabei aus von dem gesellschaftlichen Konsens der Orientierung der Ausbildung am Berufskonzept.
Ungelöst ist nach Auffassung der KMK das Problem der unterschiedlichen Anforderungen und Möglichkeiten von Industrie, Handwerk und Dienstleistern in der dualen Berufsausbildung. Auch hierzu bietet das KMK-Konzept eine bedarfsgerechte Lösung.
In der dualen Berufsausbildung haben die Länder die Optimierung in der Organisation des Berufsschulunterrichts geleistet. Im Bericht der KMK aus dem Jahre 1997 wird deutlich, dass die Berufsschule sehr flexibel auf die Bedürfnisse der Betriebe eingeht. Die Organisation des Berufsschulunterrichts entspricht damit der Forderung der Wirtschaft nach größtmöglicher Anwesenheitsdauer der Auszubildenden im Betrieb, hat aber nicht dazu geführt, dass die notwendige Zahl von Ausbildungsplätzen für alle Jugendlichen zur Verfügung gestellt wurde.
Durch Verbesserung der Kooperation der Lernorte Berufsschule und Betrieb einschließlich überbetrieblicher Ausbildung sind nach Auffassung der KMK weitere Effizienzsteigerungen im dualen System zu erreichen. Dazu zählen die Bereiche Verbundausbildung, Kooperation bei der Entwicklung und Neuordnung von Berufen sowie die inhaltliche Abstimmung von betrieblicher und schulischer Ausbildung und die Kooperation bei den Prüfungen.
Für den Mangel an Ausbildungsplätzen in den Betrieben müssen die Länder mit schulischen Maßnahmen eintreten. Sie haben auch in diesem Jahre das Angebot in beruflichen Vollzeitschulen nochmals in erheblichem Umfang gesteigert, die Kapazitätsgrenzen sind jetzt allerdings nahezu erreicht. An den Bund geht die Aufforderung, sich mit den Ländern im Interesse der Jugendlichen bei der Wirtschaft für die Akzeptanz schulischer Ausbildung einzusetzen und soweit erforderlich den rechtlichen Rahmen entsprechend zu ändern bzw. zu schaffen, damit der Entlastungseffekt für den Ausbildungsstellenmarkt nicht verloren geht.
In Anbetracht des weiterhin bis etwa zu Jahre 2007 steigenden Bedarfs an Ausbildungsplätzen und insgesamt einer stärkeren Verbindung von Bildungs- und Beschäftigungssystem fordert die KMK die Bundesregierung und die Sozialpartner auf, den von ihr eingeleiteten Dialog gemeinsam fortzusetzen.
2. Die Kultusministerkonferenz hat im Oktober länderübergreifende Vergleichsuntersuchungen zum Lern- und Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern beschlossen. Zur Qualitätssicherung der Schule hält sie es für erforderlich, in den Ländern Instrumente zur Evaluierung zu entwickeln und zu erproben und über die gewonnenen Ergebnisse in einen breiten Erfahrungsaustausch einzutreten. Die Durchführung regelmäßiger länderübergreifender Vergleichsuntersuchungen zum Lern- und Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern ausgewählter Jahrgangsstufen an allgemeinbildenden Schulen stellt dabei eine wichtige Ergänzung der länderbezogenen Qualitätssicherungsmaßnahmen dar und ermöglicht für jedes Land Rückschlüsse im Hinblick auf die jeweils gewählten Methoden und Maßnahmen zur Qualitätssicherung.
Die aus der föderalen Struktur des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland resultierenden Vielfalt schulischer Bildungsgänge und die damit verbundene hohe Flexibilität und Offenheit macht es erforderlich, die angestrebten Vergleichsuntersuchungen so anzulegen, dass sowohl konkrete Rahmenbedingungen wie auch die curricularen und organisatorischen Unterschiede zwischen den Schulformen innerhalb der Länder und zwischen den Ländern systematisch berücksichtigt werden.
Die Vergleichsstudien sollen vorrangig auf die Entwicklung grundlegender Kompetenzen ausgerichtet werden, die die Schülerinnen und Schüler zu einer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben befähigen und sich zunächst auf die Sekundarstufe I beziehen. Entsprechend dem Beschluss zu den "Standards für den mittleren Schulabschluss" sollen deshalb vor allem muttersprachliche, mathematische, naturwissenschaftlich-technische und fremdsprachliche Kompetenzen Beachtung finden. Im Hinblick auf die Anforderungen in der Arbeits- und Berufswelt sollen darüber hinaus die Herausbildung übergreifender personaler und sozialer Kompetenzen ("Schlüsselqualifikationen") wie z.B. Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit sowie die Fähigkeit zu problemlösendem Denken und zu selbständigem Handeln besonders berücksichtigt werden.
3. Die Länder haben bei den Überlegungen zur Novelle des Hochschulrahmengesetzes darauf gedrungen, dass die Durchforstung des dichten Regelwerks dazu führen muss, dass für Länder und Hochschulen größere Spielräume entstehen, damit die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen durch größere Handlungsfreiheit bei der Hochschulstrukturreform verbessert wird. Über die in diesem Zusammenhang bereits vielfach in den Ländern eingeleiteten Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Hochschulen auch für ausländische Studierende gibt der zu diesem Thema vorgelegte Bericht der KMK Auskunft. Dazu zählen etwa die vermehrte Einrichtung kooperativer Studiengänge im Zusammenwirken mit ausländischen Hochschulen ebenso wie auslandsorientierte Studiengänge, in denen z.B. Lehrveranstaltungen ganz oder überwiegend in einer Fremdsprache (meist Englisch) abgehalten werden. Die Maßnahmen zur internationalen Attraktivitätssteigerung stehen aber insgesamt in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hochschulstrukturreform und der Entwicklung des Studiensystems in Deutschland, ganz besonders da, wo es um neue Abschlüsse (Bachelor, Master) und die stärkere Modularisierung des Studiums (transferierbare Leistungspunktsysteme) geht. Die Hochschulen brauchen hier einen breiten Erprobungsspielraum - nicht zuletzt um die Akzeptanz bei den Studierenden und im Beschäftigungssystem festzustellen. Es bedarf aber auch einiger struktureller Vorgaben, damit Transparenz und Überschaubarkeit des Angebots in Deutschland für die ausländischen Studierenden nicht verloren gehen.
Zur Sicherung der unverzichtbaren Infrastruktur für erfolgreiche Forschung und Lehre haben die Länder sich seit Jahren bemüht, dass der Nachholbedarf im Hochschulbau abgebaut wird und haben dazu Vorleistungen erbracht. Die notwendigen Investitionen werden aber nur dann aufgebracht werden können, wenn auch der Bund seine Verantwortung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wieder angemessen wahrnimmt.
4. Die KMK bedauert, dass durch die jahrelange Verzögerung einer Reform des Bafög unhaltbare Zustände in der sozialen Absicherung der Studierenden eingetreten sind. Die beklagten zu langen Studienzeiten an deutschen Hochschulen haben u.a. auch den Grund, dass Studierende gezwungen sind, während ihres Studiums zu arbeiten. Die KMK verweist auf die Tatsache, dass sie mit ihren Reformvorschlägen keine Verzögerung in der Beschlussfassung zu verantworten hat. Sie hofft, dass die Ministerpräsidenten gemeinsam mit dem Bund zumindest zu einer erträglichen Zwischenlösung kommen.
5. Die Beschäftigung mit der Rechtschreibreform hat 1997 viel zu viel Zeit in Anspruch genommen. Bedauerlich ist, dass durch die aufgeheizte Diskussion um die Orthographie von den wirklichen Themen im Bildungsbereich abgelenkt wurde. Die öffentliche Aufmerksamkeit und Beunruhigung, die dieses Thema im Jahre 1997 gefunden hat, steht in keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung. Der einzige Grund, den die KMK, das Bundesinnenministerium und die deutschsprachigen Länder für die Reform hatten, ist hinter den juristischen Grundsatzdebatten zurückgetreten: Nämlich die Ungereimtheiten im geltenden Schreibgebrauch zu reduzieren und es den Kindern zu erleichtern, aktive Teilnehmer im schriftlichen Gebrauch der deutschen Sprache zu werden. Zum gegenwärtigen Sachstand ist folgende zu sagen: Die zwischenstaatliche Kommission aus Vertretern Deutschlands, der Schweiz und Osterreichs hat sachliche Kritik und mißverständliche Auslegung diskutiert und wird im Dezember Vorschläge zur Klärung machen. Diese werden in einer breiten Fachanhörung im Januar/Februar erörtert. Die KMK erhofft sich davon eine Beruhigung der Diskussion. Ich schlage vor, neben der zwischenstaatlichen Kommission eine Art Beratungsgremium zu installieren, dem Vertreter der einschlägigen Gruppen (Journalisten, Schriftsteller, Akademien usw.) angehören sollten, die die weitere Entwicklung des Schreibgebrauchs gemeinsam mit der Kommission beobachten.
6. Die Arbeitsweise der Kultusministerkonferenz wird, vor allem wegen des Einstimmigkeitsprinzips, häufig als zu schwerfällig und ineffektiv kritisiert. Dieser Eindruck ist bei gerechter Würdigung der Arbeit der KMK unzutreffend. Dort, wo lange Debatten über bestimmte Weiterentwicklungen stattgefunden haben, hat dies nicht am Einstimmungsprinzip gelegen, sondern an grundsätzlich unterschiedlichen Positionen, die zwischen den A- und B-Ländern existieren. Dennoch ist die KMK eine Musterwerkstatt tragfähiger Kompromisse. Im Jahre 1997 gibt es keine verzögerten Entscheidungen.Allerdings offenbart sich in der öffentlichen Darstellung der KMK ein struktureller Mangel. Es ist ein Nachteil der KMK, dass sie jedes Jahr ihren Präsidenten/ihre Präsidentin wechselt. Ich halte es für denkbar, dass die KMK eine Doppel-Präsidentschaft installiert, d.h. eine längere Amtszeit der Präsidenten. Damit würde sich die KMK bei den nationalen Debatten stetiger einmischen können als heute und bekanntere, weil etablierte, Präsidenten als Ansprechpartner haben.