Stark-Watzinger/Streichert-Clivot zum Nationalen Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2024“
Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung: „Der Bildungsbericht zeigt, dass unser Bildungssystem vor großen Herausforderungen steht. Wir brauchen dringend eine bildungspolitische Trendwende. Hier setzen wir auf verschiedenen Ebenen und Altersstufen an: Von den Kitas bis zu den Ausbildungsbetrieben – wir brauchen einen Perspektivwechsel und Bildungsinstitutionen, die Vielfalt als Chance begreifen. Wir setzen uns mit aller Kraft für mehr Chancengerechtigkeit ein. Mit dem Startchancen-Programm wird zum kommenden Schuljahr das größte und langfristigste Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Wirklichkeit. Ebenso zeigt der neue Bildungsbericht, dass wir ein starkes Berufsbildungssystem brauchen, das junge Menschen konsequent fördert und an die speziellen Bedarfe der modernen Arbeitswelt angepasst ist. Deshalb geben wir mit der Exzellenzinitiative Berufliche Bildung mit gezielten Maßnahmen dem gesamten System der beruflichen Bildung einen neuen Schub.“
Christine Streichert-Clivot, Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes: „Wir müssen noch ehrgeiziger sein, um das Versprechen des sozialen Aufstiegs für Jugendliche zu erneuern. Immer noch hängen die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen stark vom sozialen Hintergrund ab. Die kommende Generation erwartet zu Recht, dass wir diese Ungerechtigkeit angehen. Und das machen Bund und Länder. Zum Beispiel mit dem Startchancenprogramm, dass Schulen bei der Gestaltung einer modernen, attraktiven Lernumgebung, passgenauen pädagogischen Angeboten und dem Ausbau multiprofessioneller Unterstützung unterstützt. Im aktuellen Bundesbildungsbericht zeichnet sich zudem eine wachsende Zahl junger Erwachsene ab, die keine formale Qualifikation haben. Mit dem Pakt für Berufliche Schulen wollen wir, gemeinsam mit dem BMBF Lösungen erarbeiten, ihnen den Einstieg in die Berufswelt zu erleichtern und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Und weil starke Schüler:innen starke Lehrkräfte brauchen, haben wir als Länder auf der historischen Transformations-KMK in Völklingen in der vergangenen Woche neue Wege ins Lehramt ermöglicht, zum Beispiel für sogenannte Ein-Fach-Lehrkräfte sowie Absolventinnen und Absolventen sogenannter Quereinstiegs-Masterstudiengänge und dualer Studiengänge.“
Der aktuelle Bericht bestätigt viele positive Entwicklungen der letzten Jahre:
- Die Ausgaben für Bildung betrugen im Jahr 2022 264 Milliarden Euro. Das entspricht 6,8 Prozent am BIP. In den letzten zehn Jahren sind die Bildungsausgaben in Deutschland um 46 Prozent gestiegen, der Anteil am BIP lag 2012 bei etwa 6,6 Prozent. Die Ausgaben je Schülerin bzw. Schüler sowie je Studierenden lagen im Jahr 2020 mit 15.800 US-Dollar deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 12.600 US-Dollar.
- Im Jahr 2022 besuchten 17,9 Millionen Menschen Bildungseinrichtungen (Kindertageseinrichtungen, allgemeinbildende und berufliche Schulen, Hochschulen und Berufsakademien) – gegenüber 2012 bedeutet dies einen Anstieg von 7 Prozent. Der Anstieg der Geburten und das zuwanderungsbedingte Bevölkerungswachstum haben zu besonders hohen Zuwächsen im Bereich der frühen Bildung sowie der Hochschulbildung geführt.
- Der Anteil der jungen Erwachsenen, die weder in Beschäftigung noch in einen formalen Bildungsgang eingebunden sind (NEET – Not in Education, Employment or Training), war 2022 mit 9 Prozent in Deutschland geringer als im OECD- (15 %) und EU-22[1]-Durchschnitt (14 %).
- Bei der Entwicklung des Bildungsstands der Gesamtbevölkerung zeichnet sich ein weiterhin positiver Trend ab. Im Jahr 2022 verfügten 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung über einen höheren beruflichen (z. B. Meister) oder akademischen Abschluss. Ein Vergleich des Bildungsstands über verschiedene Altersgruppen hinweg zeigt für das Jahr 2022 weiterhin einen langfristigen Trend zur Höherqualifizierung. In der Altersgruppe der 30- bis unter 35-Jährigen lag der Anteil der Frauen mit hohem Bildungsabschluss mit 40 Prozent erstmals über dem der Männer (38 %).
- 20- bis unter 25-Jährige, die im Alter von 9 Jahren oder jünger nach Deutschland eingewandert sind, und jene mit Einwanderungsgeschichte, die in Deutschland geboren wurden, befinden sich mit 55 bis 57 Prozent im gleichen Umfang in Bildungseinrichtungen wie junge Erwachsene ohne Einwanderungsgeschichte (56 %). Das zeigt, dass Kinder und Jugendliche der zweiten Zuwanderungsgeneration deutlich an die Kinder ohne Einwanderungsgeschichte anschließen. Das ist ein Zeichen gelingender Integration – gerade, wenn man bedenkt, dass im Zusammenhang mit der Zuwanderung ukrainischer Geflüchteter 2022 die Zahl der unter 30-Jährigen deutlich angestiegen ist. Im Dezember 2023 befanden sich knapp 218.000 ukrainische Kinder und Jugendliche im deutschen Schulsystem. Im Jahr 2023 gab es in Deutschland mit mehr als 56.000 Kitas einen neuen Höchststand. Seit 2022 kam es zu einem Aufwuchs von 655 Kitas (+1 %), seit 2006 wurden insgesamt rund 10.800 neue Kitas geschaffen (+24 %). Die Erwerbstätigenquote bei Müttern im 1. Lebensjahr des jüngsten Kindes stieg 2022 auf 13 Prozent an (2020: 9 %). Auch bei Müttern mit einem jüngsten Kind im Alter zwischen 3 und 6 Jahren nahm die Erwerbstätigenquote – großenteils in Teilzeit – auf 73 Prozent weiter zu.
- Insgesamt hatten im März 2023 3,5 Millionen Kinder einen Platz in einem Angebot der Kindertagesbetreuung. Das sind rund 57.000 Kinder (+1,6 %) mehr als 2022.
- Die Anzahl der Personen des pädagogischen Personals in Kitas steigt weiterhin an. Im Jahr 2023 waren 704.591 Personen hier beschäftigt – das ist ein Zuwachs von 3 Prozent im Vergleich zu 2022. 27 Prozent der Kita-Beschäftigten waren jünger als 30 Jahre – der Altersdurchschnitt liegt hier unter dem des Personals in der Frühen Bildung anderer OECD-Staaten. 26 Prozent sind älter als 50 Jahre.
- Die Zahl der Einschulungen ist zum Schuljahr 2023/24 mit etwa 831.000 Kindern auf einen Höchstwert seit 20 Jahren gestiegen. Die Zunahme ist sowohl auf eine höhere Geburtenquote im relevanten Zeitraum als auch auf Zuwanderung, insbesondere ukrainischer Kinder, zurückzuführen.
- Die in vorherigen Bildungsberichten dokumentierten rückläufigen Entwicklungen im Schulangebot setzen sich nicht weiter fort – 2022 gab es 29.241 allgemeinbildende Schulen in Deutschland.
- Im Jahr 2022 waren bundesweit mit 793.000 etwa 91.000 mehr Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen beschäftigt als im Jahr 2002. Etwa die Hälfte von ihnen (51 %) ist in Vollzeit tätig. Insgesamt fehlen laut KMK-Prognose bis zum Jahr 2035 jedoch bundesweit nahezu 24.000 Lehrkräfte im allgemeinbildenden Schuldienst, wobei die Bedarfe zwischen den Schularten, Fächern und Regionen teils erheblich variieren.
- 2023 studierten knapp 2,9 Millionen Studierende an Hochschulen in Deutschland, darunter 481.000 Studienanfängerinnen und -anfänger. Seit 2020 ist die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger mit deutscher Hochschulzugangs-berechtigung um 11 Prozent gesunken – von 404.000 auf 359.000 in 2023. Die neueste Prognose der Kultusministerkonferenz geht von einem Wiederanstieg der Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger mit deutscher Hochschulzugangsberechtigung aus.
- Die Zahl der neu eingeschriebenen Studierenden, die aus der Ukraine stammen, war im Frühjahr 2022 mehr als doppelt so hoch wie in früheren Sommersemestern: 2022 haben insgesamt etwa 4.000 Studierende aus der Ukraine ein Studium an einer deutschen Hochschule aufgenommen.
- Deutschland belegt inzwischen Platz drei der beliebtesten Zielländer für ein Auslandsstudium – hinter den USA und Großbritannien. 22 Prozent aller in Deutschland erlangten Masterabschlüsse und Promotionen werden heute von internationalen Studierenden erworben, in MINT-Fächern sind es sogar 26 Prozent.
- Auch Studieren mit einem beruflichen Bildungsabschluss ist keine Seltenheit mehr. Jede und jeder vierte Studierende hat vor dem Studium erfolgreich einen Berufsabschluss erworben, an privaten Hochschulen ist es sogar jede bzw. jeder zweite. Auch das Niveau der Weiterbildungsbeteiligung verbleibt hoch.
Das Schwerpunktkapitel zur beruflichen Bildung zeigt folgende zentrale Befunde:
- Aufgrund der Arbeitsmarktnähe beruflicher Bildung wirken sich gesamtgesellschaftliche, nationale sowie internationale (v.a. wirtschaftliche) Entwicklungen unmittelbar auf die berufliche Bildung aus. Governancestrukturen sind teilweise sehr komplex:
o In der beruflichen/dualen Ausbildung ist der Bund zuständig für die betriebliche Berufsausbildung und die bundesfinanzierten Maßnahmen des Übergangssektors, die Länder und Kommunen verantworten das berufliche Schulwesen.
o Der Hochschulbereich wird mit seiner beruflichen-akademischen Bildung und Forschung vor allem durch die Länder verantwortet. In der Gestaltung ihrer Studienangebote sind die Hochschulen bei ihrer fachlichen Ausrichtung weitgehend autonom.
o In der beruflichen Weiterbildung ist die Governance sehr vielfältig.
- Im Anschluss an die allgemeinbildenden Schulen sind Bildungswege vielfältiger, offener und auch durchlässiger geworden. In das berufliche Ausbildungssystem (Übergangssektor, duales Ausbildungssystem, Schulberufssystem) stiegen 2023 knapp 925.000 Personen ein, gut 40.000 mehr als noch 2021.
- Nach dem starken Einbruch des Ausbildungsstellenangebotes auf 527.000 während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 zeigt sich 2023 eine deutliche Erholung. Das Angebot an betrieblichen Ausbildungsstellen bleibt allerdings immer noch hinter dem von 2019 zurück (563.000 im Jahr 2023 ggü. 578.000 im Jahr 2019). Auf der Nachfrageseite setzt sich der Rückgang nicht mehr weiter fort (552.000 im Jahr 2023), dennoch verbleibt ein Abstand zum Niveau des Jahres 2019.
- Die Anzahl der Neuzugänge in das duale Ausbildungssystem stieg 2023 auf rund 456.000. Hierbei sind jedoch Auswirkungen gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen wie der Corona-Pandemie 2020/21 deutlich erkennbar: Vor der Pandemie lag die Zahl der Neuzugänge in das duale Ausbildungssystem bei ca. 484.000 Neuzugänge (2019). Diese Zahl wurde 2023 noch nicht wieder erreicht.
Zur Anlage des Bildungsberichts
Eine unabhängige Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Federführung des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation erarbeitet den seit 2006 alle zwei Jahre erscheinenden Bildungsbericht. Beteiligt sind das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. (DIE), das Deutsche Jugendinstitut (DJI), das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi), das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen an der Georg-August-Universität (SOFI) sowie das Statistische Bundesamt (Destatis) und die Statistischen Ämter der Länder (StLÄ).
Den Bericht sowie weiterführende Materialien und Informationen finden Sie im Internet unter www.bildungsbericht.de.
KMK
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