Umfrage zu menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten in Museums- und Universitätssammlungen in Deutschland
33 Einrichtungen, die relevante Bestände menschlicher Überreste in ihren Sammlungen verwahren, haben an der Umfrage teilgenommen, darunter anthropologische, anatomische, medizinhistorische, ethnologische und paläontologische Sammlungen und insbesondere solche, die ab circa 1750 entstanden sind.
Die Auswertung der übermittelten Daten ergibt folgendes Bild: In den befragten Einrichtungen befinden sich circa 17.000 menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten. Fast die Hälfte davon ist derzeit nicht geografisch zuordenbar (ca. 46 Prozent). Die Mehrheit der geografisch zuzuordnenden menschlichen Überreste stammt aus den Weltregionen Afrika und Ozeanien (71 Prozent). Es befinden sich jedoch menschliche Überreste aus allen Kontinenten in den befragten Einrichtungen.
Des Weiteren sind circa 38 Prozent der übermittelten Zahlen summarische Angaben und stellen einen Annäherungswert dar. Die genaue Anzahl der menschlichen Überreste aus kolonialen Kontexten kann daher auch über den angegebenen Schätzungen liegen. In 68 Prozent der Einrichtungen sind menschliche Überreste inventarisiert. Jedoch sind derzeit lediglich 48 Prozent der ermittelten menschlichen Überreste digital erfasst.
Die Frage des Umgangs mit menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten ist sensibel. Die Bedeutung von und der Umgang mit Verstorbenen ist in den ethischen Wertvorstellungen und Weltbildern der Herkunftsgemeinschaften verankert. Wichtig ist der respektvolle, zugewandte Umgang mit den Nachfahren.
Falko Mohrs, Vorsitzender der Kulturministerkonferenz 2023 und Minister für Wissenschaft und Kultur in Niedersachen: „Aus der deutschen Kolonialgeschichte heraus erwächst auch Museen und Sammlungen eine besondere Verantwortung, der sie sich stellen müssen. Der Umgang mit menschlichen Überresten aus kolonialem Kontext in Deutschland war in der Vergangenheit häufig fragwürdig. Jetzt haben wir die Chance, es besser zu machen. Wo immer es geht, sollen Transparenz geschaffen und mit aller gebotenen Sensibilität Rückgaben ermöglicht werden. Die jetzt vorliegende Umfrage bietet dafür eine erste Grundlage, auf der weitergearbeitet werden kann.“
Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder: „Mit dem vorliegenden Bericht stehen erstmals Zahlen zu menschlichen Gebeinen in ausgewählten Museen und Sammlungen in Deutschland zur Verfügung. Der Bericht leistet damit einerseits einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Wissenschafts- und Institutionengeschichte. Andererseits veranschaulichen die Ergebnisse eindrucksvoll, vor welchen enormen Herausforderungen viele der betroffenen Einrichtungen, deren Träger sowie die kulturpolitisch Verantwortlichen in Deutschland stehen. Den Nachfahren derjenigen Menschen, deren Gebeine in deutsche Einrichtungen verschleppt wurden, möge dieser Bericht als bescheidener erster Schritt auf dem Weg zur längst überfälligen Rückkehr ihrer Vorfahren gelten.“
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, und Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes: „Die Kommunen wissen um die besonderen Herausforderungen und die besondere Verantwortung, die mit der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit im Kulturbereich verbunden sind. Der vorliegende Bericht ist ein wichtiger Schritt. Er schafft mehr Transparenz und ermöglicht weitere Provenienzforschung. Es wird noch ein langer Weg, bis möglichst viele menschliche Gebeine aus Museen und Sammlungen in die Herkunftsländer zurückgegeben werden können. Umso wichtiger ist es, dass damit begonnen wird und der Dialog über die nächsten Schritte in enger Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen erfolgt.“
Staatsministerin im Auswärtigen Amt Katja Keul: „In zahlreichen Gesprächen im Ausland – sei es mit den Nachfahren von Widerstandskämpfern gegen die deutsche Kolonialmacht oder mit Familien, die ihre Vorfahren nie beerdigen konnten – begegnet uns der Wunsch nach mehr Transparenz und Information über den Verbleib ihrer Vorfahren sowie der Wunsch ganz konkret, ihre Ahnen in der Heimat beerdigen zu können. Die Ergebnisse dieser Umfrage können dazu beitragen, Vertrauen herzustellen: Vertrauen in unser Versprechen, dass wir uns unserer Kolonialvergangenheit stellen und alles dafür tun wollen, die Rückgabe von menschlichen Gebeinen zu ermöglichen. Darüber suchen wir nun auch einen engen Dialog mit den betroffenen Herkunftsländern.“
Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Menschliche Gebeine aus kolonialen Kontexten gehören nicht in unsere Museen und Sammlungen. Zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte gehört es, einen angemessenen Umgang damit zu finden und Maßnahmen zur Rückführung in die Herkunftsländer zu entwickeln. Die Umfrage ist hierfür eine ganz wichtige Grundlage. Sie zeigt, dass die Herkunft menschlicher Gebeine in deutschen Sammlungen in vielen Fällen unklar ist. Besonders die Provenienzforschung kann zur weiteren Aufklärung beitragen. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste unterstützt die Einrichtungen bei der Erforschung.“
Die Ergebnisse der Umfrage und die notwendigen Folgerungen sollen mit Expertinnen und Experten, insbesondere aus den Herkunftsländern, beraten werden.
Das Auswärtige Amt wird die Ergebnisse der Umfrage den betroffenen Ländern im Rahmen der bilateralen Kontakte mit den Regierungen der Herkunftsländer zur Verfügung stellen.
Die Kontaktstelle hat den Auftrag erhalten, ein Konzept zum weiteren Umgang mit menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten zu erarbeiten, das auch u.a. folgende Themen einschließt:
- Welche Schritte müssen in den Sammlungen zur „Re-Humanisierung“ der menschlichen Überreste unternommen werden, damit ihnen wieder Würde und Respekt zusteht? Wie könnten ethische Standards für angemessene Aufbewahrung aussehen?
- Die Herkunft der menschlichen Überreste in deutschen Sammlungen ist in vielen Fällen unklar. Welche Möglichkeiten bieten die bestehenden Analysemethoden und welche Schwierigkeiten tauchen in der Praxis auf? Welche Chancen und Grenzen bietet die Provenienzforschung? Wie können Expertinnen und Experten aus den Herkunftsländern eingebunden werden?
- Wie kann mehr Transparenz für den verantwortungsvollen Umgang mit menschlichen Überresten hergestellt werden?
- Es ist zu erwarten, dass mit heutigen Mitteln nicht die Herkunft aller menschlicher Überreste vollständig aufgeklärt werden kann bzw. eine Repatriierung nicht überall möglich ist. Wie sollte in diesen Fällen verfahren werden?
Hintergrundinformationen
Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die Staatsministerin des Bundes für Kultur und Medien, die Kulturministerinnen und Kulturminister der Länder sowie die kommunalen Spitzenverbände haben sich am 13. März 2019 in den „Ersten Eckpunkten zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ (Erste Eckpunkte) darauf verständigt, dass bei der Aufarbeitung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten dem Umgang mit menschlichen Überresten Vorrang zukommt. Um einen Überblick über die unbearbeiteten menschlichen Überreste sowie den Stand des Umgangs damit in deutschen Museen und universitären Sammlungen zu gewinnen, hat die Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten gemeinsam mit dem Fachbereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste ein Konzept für eine deutschlandweite Umfrage zu menschlichen Überresten erarbeitet.
Der Bericht zur Umfrage wird in Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch auf den Webseiten der Kontaktstelle und der Kulturstiftung der Länder veröffentlicht werden.
Hier finden Sie den Bericht:
https://www.cp3c.de/umgang_mit_menschlichen_ueberresten/ (deutsch)
https://www.cp3c.org/dealing_with_human_remains/ (englisch)
(Die französische und spanische Version des Berichts wird auf der deutschsprachigen Seite der Kontaktstelle abrufbar sein.)