Kultusminister Konferenz

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Weiterentwicklung des dualen Systems der Berufsausbildung zentrales Thema der KMK 1997

Minister Rolf Wernstedts Antrittsrede als Präsident der KMK 1997

In seiner Rede zum Amtsantritt als Präsident der KMK im Jahr 1997 hat Kultusminister Professor Rolf Wernstedt (Niedersachsen) betont, daß ihm in den aufgeregten deutschen Debatten über Verteilungsgerechtigkeit, Standortfragen und Steuergesetze, über Wirtschaftspolitik, Arbeitslosigkeit und Zukunftssicherheit, über Vereinigungsprobleme und Globalisierungszwänge die Dimension der Bildung, Ausbildung und Forschung nicht das notwendige Gewicht zu haben scheine. Moralische Verdächtigungen des politischen Gegners seien häufiger zu hören, als reale alternative Vorschläge, an denen man sich politisch kontrovers abarbeiten könne. Seiner Meinung nach könnten bildungspolitische Fragen nicht nur als Katastrophenmeldungen, sondern als Lösungswettstreit Kronjunktur haben. Denn unbestritten scheine zu sein, daß die deutsche Gesellschaft in wirtschaftlicher und politisch demokratischer Hinsicht nur dann eine Zukunft habe und konkurrenzfähig sei, wenn sie die Basis der Zukunft, nämlich ihre Kinder und jungen Menschen hinreichend ausstatte.
Auch im kommenden Jahr werde die politische Tagesordnung der Deutschen von Verteilungskämpfen bestimmt. Der Bildungs- und Forschungsbereich müsse sich dabei in den allgemeinen Neustrukturierungs- und Umorientierungsprozeß einfügen, ja er müsse gewissermaßen dazu auch Impulse geben. Dabei gehe es um den Erhalt und die Weiterentwicklung des dualen Systems der Berufsausbildung, um die Modernisierung des Schulsystems und um die Leistungsfähigkeit der Hochschulen in Forschung und Lehre, insbesondere im internationalen Vergleich. Die KMK wolle ihre Rolle in diesem hochkomplexen Prozeß verantwortlich wahrnehmen. Ritualisierte Schuldvorwürfe nützten nur denjenigen, denen Bildungs- und Forschungsfragen in ihren kurzgeschlossenen Entscheidungskategorien zu kompliziert seien.  

Die zentrale Aufmerksamkeit der KMK im Jahr 1997 werde dem System und der Weiterentwicklung der beruflichen Bildung gelten. Ziel des von der KMK hierzu umfassend angelegten Diskussionsprozesses sei es, alle Möglichkeiten unvoreingenommen zu prüfen, die Ausbildungsbereitschaft zu erhöhen und das duale System insgesamt leistungsfähig zu halten. "Wir alle wissen," so der KMK-Präsident, "daß wir in den nächsten 10 Jahren etwa 120.000 qualifizierte Ausbildungsplätze mehr brauchen als gegenwärtig. Wenn dies nicht gelingt, wird das duale System unter erheblichen Druck geraten. " Die KMK wolle zur Weiterentwicklung der beruflichen Bildung zu Positionen gelangen und diese nachdrücklich gegenüber ihren Partnern vertreten. Er hoffe und sei zuversichtlich, so Minister Wernstedt, daß dies 1997 gelingen werde. Zu immer wieder zu hörenden Forderungen nach der Abschaffung des sog. 2. Berufschultages sagte der neue Präsident der KMK in seiner Antrittsrede: "Die Position der KMK ist eindeutig: keine Abstriche am Umfang der 12 Wochenstunden Berufsschulunterricht, zugleich aber eine vor Ort vereinbarte flexible organisatorische Gestaltung, die den Bedürfnissen der Betriebe entgegenkommt. " Die Bundesländer begrüssen ausdrücklich die Absicht des Bundes, so Minister Wernstedt, gemeinsam mit den Tarifpartnern die Überarbeitung von Ausbildungsordnungen zu beschleunigen und neue Ausbildungsberufe möglichst schnell zu schaffen. "Ich weise aber vorsorglich darauf hin, " so der KMK-Präsident, "daß es von Länderseite aus keine pauschale Bereitschaft gibt, die dreijährige Ausbildungsstruktur in Deutschland in eine zweijährige umzuwandeln. Mit Blick auf besonders lernschwache Jugendliche ist es immer ein akzeptabler Diskussionsvorschlag gewesen, auf die Masse unserer Auszubildenden angewandt, wäre dies allerdings ein Schlag gegen die Qualifikationsstruktur unserer Ausbildung und damit auch eine potentielle Gefährdung der Wirtschaftsattraktivität Deutschlands. "

Auch im Jahr 1997 bleibe es darüber hinaus Aufgabe der KMK, vorrangig die Beratungen zur Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung fortzusetzen, um die in der Erklärung der KMK von Dezember 1994 aufgestellten Ziele zu erreichen. "Ich will gar nicht verschweigen, daß die Länder hier bei der Frage der Gleichwertigkeit von Abschlüssen und der Durchlässigkeit von Bildungsgängen noch unterschiedlichen Leitgedanken folgen. Wir werden uns aber entscheiden müssen, ob uns allein die Maßstäbe der allgemeinbildenden Bildungswege und Abschlüsse als Richtschnur für die Anerkennung der Gleichwertigkeit dienen sollen oder ob wir den Gedanken der Gleichwertigkeit nicht so verstehen müssen, daß er durchaus auch die Gleichwertigkeit von Ungleichartigem umfaßt. Damit würde der Weg frei, berufliche Qualifizierungen in ihrer Eigenart Abschlüssen der allgemeinbildenden Schulen gleichzustellen. Bevor wir dies nicht klären, werden wir nicht zu weiteren konkreten Vereinbarungsschritten in der Frage der Durchlässigkeit kommen", so der Präsident. Es dürfe aber ebenfalls nicht vergessen werden, daß die berufliche Bildung auch den ihr zustehenden Rang in der Berufs- und Arbeitswelt bezüglich Beschäftigung, Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten erhalten müsse, wenn ein wirklicher Durchbruch zur Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung erzielt werden solle.

Der Präsident wies in seiner Rede weiter darauf hin, daß die KMK an einer Erklärung zu den Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer heute arbeite. Ihm scheine, es wäre nötig, die tatsächliche Funktion und die Bedeutung des Lehrerberufs in der Gesellschaft zu thematisieren. "Die Unsitte, daß aus schlechten eigenen Schulerfahrungen oder aus schlechten Einzelfällen jeder glaubt, über die Lehrer insgesamt mit gutem Gewissen herfallen zu können, sollte ein Ende haben." Die Lehrerinnen und Lehrer seien nicht der Hort des sozialen Elends in diesem Lande und jede Larmoyanz dieser Art sollte zurückgewiesen werden. Aber sie hätten ein Recht darauf, die Probleme des heutigen Schulwesens mit Ernst behandelt zu sehen. Es sei abzusehen, daß der Druck auf das Schulsystem anhalten werde. Dies erfordere einen gerechten Umgang mit den Lehrerinnen und Lehrern, von denen ja weiterhin höchste Motivation und größter Einsatz erwartet werden.

Im Hochschulbereich sei die Sicherung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen in Lehre und Forschung angesichts stagnierender, wenn nicht sogar rückläufiger Finanzmittel die wesentliche Zielsetzung der Hochschulstrukturreform. Hier sei es bereits gelungen, in allen Ländern durch die Vorgabe von Eckwerten für Studium und Prüfungen im Zusammenwirken mit den Hochschulen die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß - vertretbare äußere Rahmenbedingungen unterstellt - in allen Studiengängen der berufsqualifizierende Abschluß wieder in der Regelstudienzeit erreicht werden könne. Zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen, insbesondere im Bereich der Forschung, seien aber weitere MaBnahmen notwendig, etwa die Stärkung der Finanzautonomie, die Verbesserung der Leitungsstrukturen und eine stärker leistungsorientierte Mittelvergabe. Eine leistungsfähige Forschung sei als zentraler Standortfaktor Voraussetzung für das Bestehen der Bundesrepublik im weltweiten wirtschaftlichen Wettbewerb. "Im Sinne eines Ceterum censeo möchte ich auch an dieser Stelle nicht versäumen, den ständigen Appell an den Bund zu wiederholen, durch die Bereitstellung ausreichender Mittel hier seiner Mitverantwortung für den Wissenschaftsbereich wirklich zu genügen. Der Bund weit, daß es hier keinerlei Differenzen zwischen den Bundesländern gibt," so der KMK-Präsident.

Die von der Bundesregierung geplante Novelle des Hochschulrahmengesetzes müsse sich, wenn sie überhaupt erforderlich sei, in den Kontext der Stärkung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen einfügen. Dies könne sicher nicht durch ein noch engmaschigeres Netz von Regelungen erreicht werden, sondern nur durch eine Reduktion der Rahmenvorgaben auf den tatsächlich unbedingt notwendigen länderübergreifenden Regelungsgehalt. Eine weitere wichtige Aufgabe im Hochschulbereich sei die strukturelle Reform der Ausbildungsförderung der Studierenden. Er begrüße es, so Minister Wernstedt, daß der Bund und die Länder gemäß dem Auftrag der Regierungschefs eine Arbeitsgruppe konstituiert hätten und konkrete Absprachen zum weiteren Verfahren getroffen werden konnten. Die Kultusministerkonferenz habe bereits im Sommer 1996 die grundsätzlichen Reformziele benannt, die erreicht werden müßten. Die Reform müsse zu mehr Verteilungsgerechtigkeit in der Studienfinanzierung unter allen Studierenden führen. Insbesondere Studierende aus einkommensschwachen Familien müßten besser gestellt und bestehende Benachteiligungen im System ausgeglichen werden. Dabei müsse die Gleichbehandlung der unmittelbaren mit der mittelbaren Ausbildungsförderung über die Familienförderung hergestellt werden, z.B. durch die Angleichung der Leistungsanforderungen bei den Empfängern beider Förderungsarten. Schließlich hob der Präsident noch die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Studienstandorts Deutschland als Aufgabe im Wissenschaftsbereich hervor. Die Kultusministerkonferenz teile die Sorge des Bundes und der Wissenschaftsorganisationen, daß die Hochschulen für ausländische Studierende und den wissenschaftlichen Nachwuchs aus dem Ausland an Attraktivität verlieren, und sie begrüße und unterstütze daher alle Maßnahmen, die die Attraktivität des Studienstandorts im Ausland stärken und steigern. Eine Verbesserung erscheine hier nur möglich, wenn die Hochschulstrukturreform konsequent umgesetzt werde. Dies bedeute auch, daß unter Wahrung der guten Traditionen der deutschen Hochschulgeschichte genügend Flexibilität in Studienbetrieb und Forschung einkehre. Wer ehrlich ist, müsse aber auch zugeben: "Solange die Hochschulen eine Überlast von Studierenden tragen müssen, kann die Verbesserung der Studienbedingungen für ausländische Studierende nur bedingt durch Reformmaßnahmen erreicht werden, zumal wenn zusätzliche Mittel nicht zur Verfügung stehen." Umso wichtiger sei es daher, Hemmnisse für ausländische Studierende beim Zugang zu den deutschen Hochschulen abzubauen, Studienangebote zu entwickeln, die stärker auf die Interessen ausländischer Studierender ausgerichtet sind, Studien- und Prüfungsleistungen transferierbar zu machen und insbesondere die Anerkennung der in Deutschland erworbenen Studienabschlüsse im Ausland zu verbessern. Aber auch umgekehrt erscheine es notwendig, die Anerkennung im Ausland erworbener Grade in Deutschland durchsichtiger und flexibler zu gestalten.

Für den Kulturbereich hob der neue KMK-Präsident hervor, daß es bei der Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund eine wichtige Rolle spielen werde, welche Antworten auf die Fragen der Rückführung von Kulturgütern gefunden würden. Insgesamt erscheine es ihm im Kulturbereich von entscheidender Bedeutung, das Steuersystem zu verändern, um vermehrt privates Geld für den Ankauf und die Förderung von Kulturgütern zu gewinnen. Ohne eine Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für private Förderer bleibe Kulturförderung für viele ein nicht sehr attraktives Feld.

Insgesamt werde die Bildungs- und Kulturpolitik in den kommenden Jahren eine zunehmende europäische Verflechtung im Blick haben müssen. Dies gelte vor allem für die vielen Förderprogramme der europäischen Union. Hier stehe neben den eingespielten Programmen SOKRATES und LEORNARDO 1997 vor allem die Erarbeitung des 5. EU-Rahmenprogramms für die Forschung im Vordergrund. Hierbei gehe es für die Länder um eine weitere Konzentration in den Einzelprogrammen sowie um eine Stärkung der Grundlagenforschung in wettbewerbsrelevanten Gebieten.

Insgesamt stellte der Präsident fest, daß es eine gemeinsame Aufgabe derjenigen sei, die in diesen Bereichen Verantwortung tragen, dafür zu sorgen, daß Bildung, Wissenschaft und Kultur in ihrer wesentlichen Bedeutung für die Sinngebung und geistige Orientierung in der Gesellschaft gesehen werden und nicht auf dienende Funktionen in einer von materiellen Interessen geleiteten Perspektive reduziert würden. Das geistige Klima in einem Land oder in einer Stadt sei keine bloße Schimäre. Unter seinem Verfall würden auch diejenigen leiden, die nicht unmittelbar am Kulturleben teilnehmen bzw. am Bildungs- und Wissenschaftsbereich partizipieren. Es sei darauf zu achten, daB es bei allen Bildungsbemühungen um die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen gehe. Die Kultusminister hätten in diesem Sinne auch Verantwortung dafür, den Kontext humaner Bildung als eine Richtschnur ihres Denkens und Entscheidens zu bewahren.