Stellungnahme der Kultusministerkonferenz zu den Ergebnissen der zentralen Überprüfung des Erreichens der Bildungsstandards in den Fächern Deutsch, Englisch und Französisch (Sekundarstufe I) in den Ländern
Mit den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz steht den Ländern neben den verschiedenen internationalen Studien (PISA, IGLU, TIMSS) ein bundesweit geltender Referenzrahmen für die Kompetenzentwicklung in ausgewählten Fächern an Schnittstellen des Bildungssystems zur Verfügung, der seit 2009 die Grundlage für Rückmeldungen der Leistungen an die Länder bildet. Die Leistungstests werden vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin verantwortet und lösen die bisherigen Ländervergleiche im Rahmen von PISA (PISA-E) und PIRLS/IGLU (IGLU-E) auf Grundlage der Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring ab.
In Erweiterung von PISA wird mit dem jetzt vorgelegten Ländervergleich des IQB erstmalig zentral überprüft, auf welchem Niveau die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz in den Fächern Deutsch und Erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) erreicht werden. Neben der Lesekompetenz wurde in beiden Fächern zusätzlich das Hörverstehen getestet; im Fach Deutsch wurde darüber hinaus der Bereich Orthografie überprüft. Während sich alle Länder an der 2009 durchgeführten Erhebung in den Fächern Deutsch und Englisch beteiligten, wurde Französisch lediglich in sechs Ländern getestet, da nur diese Länder eine ausreichend hohe Zahl von Schülerinnen und Schülern aufweisen, die in der Sekundarstufe I Französisch als erste Fremdsprache lernen.
Die Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss bilden die Referenzgröße des vorliegenden Ländervergleichs. Nach ihrer Normierung im Jahre 2008 konnten Mindest-, Regel- und Maximalstandards definiert werden, die es erlauben, Leistungen von Schülerinnen und Schülern im Hinblick auf bestimmte Zielerwartungen zu vergleichen.
Die Ergebnisse der IQB- Ländervergleiche in der Sek. I (ab 2009) und in der Grundschule (ab 2011) sollen die Lernstände nach Einführung von Bildungsstandards beschreiben; die nächste zentrale Überprüfung des Erreichens der Bildungsstandards in den Fächern Deutsch und Erste Fremdsprache (Sek. I) im Ländervergleich erfolgt 2015. Die nächste Untersuchung zur Überprüfung der Bildungsstandards in den naturwissenschaftlichen Fächern und in Mathematik findet im Jahr 2012 statt, in der Grundschule im Jahr 2011.
Um einen repräsentativen Ländervergleich der Leistungen von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 9 sicher zu stellen, wurden im Unterschied zu PISA (15-Jährige) in der Stichprobe die Jahrgangsstufen 9 aller Bildungsgänge des allgemein bildenden Schulsystems aller 16 Länder berücksichtigt. Dabei werden die Ländervergleiche zur Überprüfung der nationalen Bildungsstandards in Verbindung mit PISA und IGLU durchgeführt, um internationale Maßstäbe zu gewährleisten.
„Auf diese Weise wird deutlich gemacht, dass die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz der entscheidende Referenzrahmen für die tägliche Arbeit an unseren Schulen sind – gleichwohl aber eine enge Ankoppelung an die internationalen Anforderungen und Entwicklungen gewährleistet wird“, so der Präsident der Kultusministerkonferenz, Staatsminister Dr. Spaenle.
I. Zentrale Befunde
Die wichtigsten Ergebnisse im Fach Deutsch: Lesen, Zuhören, Orthografie
Im Lesen ergeben sich hohe Übereinstimmungen zwischen den Befunden aus dem PISA- Ländervergleich (PISA 2006 E) und den Ergebnissen des IQB- Ländervergleichs (2009). Die Befunde bestätigen die aus den PISA- Ländervergleichen berichteten Abstände zwischen den Ländern im Umfang von bis zu 40 Punkten, was einem Kompetenzzuwachs von einem Schuljahr entspricht. Besonders große Unterschiede zwischen den Ländern zeigen sich sowohl im Anteil als auch in den Leistungsergebnissen der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler.
Insgesamt werden die Vorgaben der KMK-Regelstandards im Fach Deutsch von erheblichen Schüleranteilen in allen Ländern erreicht, dabei erweist sich das Erreichen der Bildungsstandards im Lesen als besondere Herausforderung. So finden sich in einigen Ländern im Lesen in den nichtgymnasialen Bildungsgängen Quoten von über 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die ohne besondere Förderung die KMK-Mindeststandards nicht erreichen werden.
Größere Unterschiede zwischen den Ländern bestehen in den Bereichen Zuhören und Orthografie, die Kompetenzzuwächsen bis zu 1 ½ Schuljahren entsprechen.
Beim Ländervergleich der Gymnasien liegen große Anteile der Schülerinnen und Schüler deutlich oberhalb der von der KMK gesetzten Regelstandards für den Mittleren Schulabschluss. Unterschiede zwischen den Ländern sind nicht durch eine verkürzte Gymnasialzeit oder das neunjährige Gymnasium zu erklären.
Die wichtigsten Ergebnisse für die erste Fremdsprache: Lesen, Zuhören
Die Länderrangreihe im Fach Englisch zeigt ein deutliches Leistungsgefälle sowohl zwischen südlich und nördlich gelegenen als auch zwischen westlich und östlich gelegenen Ländern. Insgesamt fallen die Unterschiede zwischen den Ländern im Fach Englisch noch größer aus als für das Fach Deutsch.
Die West-Ost-Unterschiede manifestieren sich vor allem darin, dass die neuen Länder im Hörverstehen die hinteren fünf Plätze belegen.
In allen 16 Ländern zeigen sich erhebliche Leistungsunterschiede zwischen gymnasialen und nicht-gymnasialen Bildungsgängen.
Zusätzliche Analysen der Daten aus der Lehrerbefragung weisen darauf hin, dass die geringere fachliche Qualifikation der Englischlehrkräfte in den neuen Ländern und in den nichtgymnasialen Bildungsgängen eine wesentliche Ursache für die eher schwachen Leistungen sein könnte.
Generell gilt, dass sich die Länder im Hinblick auf die Jahrgangsstufe, in der mit Englischunterricht begonnen wird, unterscheiden. Im Fach Englisch ergeben sich in der 9. Jahrgangsstufe in einigen Ländern relativ hohe Anteile (über 50%) von Schülerinnen und Schülern, welche die Vorgaben der KMK-Regelstandards für den Mittleren Schulabschluss verfehlen. Dies gilt vor allem für die nichtgymnasialen Bildungsgänge. Da von Jahrgangsstufe 9 nach Jahrgangsstufe 10 mit einem deutlichen Kompetenzzuwachs gerechnet werden kann, ist zu diesem Zeitpunkt mit besseren Leistungen zu rechnen.
Sehr hohe Leistungen werden in den Gymnasien vieler Länder erreicht; so liegen in einigen Ländern über 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler bereits in der 9. Jahrgangsstufe über den Regelstandards für den Mittleren Schulabschluss.
Im Fach Französisch zeigen sich eher günstige Ergebnisse, die teilweise dem Umstand geschuldet sind, dass Schülerinnen und Schüler mit Französisch als erster Fremdsprache mehrheitlich eine sozio-ökonomisch privilegierte Gruppe ihres Jahrgangs darstellen.
Disparitäten (Geschlecht, soziale Herkunft, Migrationshintergrund)
Geschlechterdifferenzen
In allen sieben getesteten Teilkompetenzen zeigen sich Leistungsvorsprünge der Mädchen gegenüber den Jungen. Die Größenordnung dieser Differenzen fällt bundesweit für das Lese- und Hörverstehen in allen drei Fächern ähnlich aus. Dabei gelingt es einigen Ländern, diese Leistungsunterschiede gering zu halten. Am größten ist der Leistungsvorsprung der Mädchen im Bereich der Orthografie, der dem Kompetenzzuwachs von mehr als einem Schuljahr entspricht. Die besseren Leistungen sind teilweise durch die höhere Bildungsbeteiligung der Mädchen erklärbar.
Soziale Disparitäten
In allen getesteten Kompetenzbereichen der Fächer Deutsch und Englisch zeigen sich in den Ländern Unterschiede, die mit der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler zusammenhängen. Dabei gelingt es den neuen Ländern eher, diese Unterschiede geringer zu halten.
Im Hinblick auf die relativen Chancen von Schülerinnen und Schülern mit gleicher Lesekompetenz, aber unterschiedlicher sozialer Herkunft, ein Gymnasium zu besuchen, zeigen sich zwischen den Ländern deutliche Unterschiede. In Ländern mit geringerer Gymnasialquote sind diese Disparitäten höher.
Sprachliche Kompetenzen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Bundesweit ergeben sich erhebliche Differenzen zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Die Gruppe der Jugendlichen aus zugewanderten Familien weist im Fach Deutsch Leistungsrückstände gegenüber Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund auf, die einem Kompetenzzuwachs von ca. zwei Schuljahren entsprechen. Die Ergebnisse in den einzelnen Ländern werden auch beeinflusst durch die unterschiedlich großen Anteile und die ethnische Herkunft von Jugendlichen mit Migrationshintergrund.
Im Fach Englisch fallen diese Nachteile geringer aus; dies könnte damit zusammenhängen, dass im Gegensatz zum Deutschunterricht der Spracherwerb expliziter Unterrichtsgegenstand ist.
Positive Entwicklungen und Herausforderungen
In allen 16 Ländern erfüllt ein großer Anteil der Schülerinnen und Schüler die in den KMK-Bildungsstandards festgelegten Leistungserwartungen für die 10. Jahrgangsstufe im Fach Deutsch bereits gegen Ende des 9. Schuljahres.
Hohe Leistungen werden in den Gymnasien aller Länder erreicht, in einigen Ländern liegen über 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler bereits in der 9. Jahrgangsstufe über den Regelstandards für den Mittleren Schulabschluss.
Im Fach Englisch erreicht sogar bis zu einem Viertel der Schülerinnen und Schüler Leistungsniveaus (Maximalstandards), die üblicherweise erst in der gymnasialen Oberstufe erwartet werden.
Neben diesen positiven Entwicklungen wird auch eine Reihe von Problemen und Herausforderungen deutlich:
In vielen Ländern erreicht in den nichtgymnasialen Bildungsgängen ein erheblicher Anteil der Schülerinnen und Schüler nicht die KMK-Regelstandards, dies gilt insbesondere für das Fach Englisch und für die Lesekompetenz im Fach Deutsch.
Die Leistungsrückstände von Jungen in allen sprachlichen Bereichen verweisen auf einen deutlichen Bedarf an Förderung und geschlechtersensible Unterrichtskonzepte.
Nach wie vor bestehen erhebliche Differenzen in der Kompetenzentwicklung zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Dies gilt auch für Schülerinnen und Schüler, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Unterscheidet man die Zuwanderungsgruppen nach Zuwanderungsland, so schneiden Jugendliche türkischer Herkunft schwächer ab als Schülerinnen und Schüler, deren Familien aus Osteuropa zugewandert sind.
II. Bildungspolitische Folgerungen
Der Beschluss der Länder, länderübergreifende Bildungsstandards festzulegen, Testaufgaben zu entwickeln und empirisch zu überprüfen, ist erfolgreich umgesetzt worden. Auf diese Weise stehen den Ländern erstmalig differenzierte Informationen über die Erträge des Deutsch- und Fremdsprachenunterrichts zur Verfügung, die für die Weiterentwicklung des Bildungssystems genutzt werden sollen. Dieser Weg wird mit der Überprüfung der KMK- Bildungsstandards in der Grundschule, in den naturwissenschaftlichen Fächern und in Mathematik (Sek. I) sowie mit der Entwicklung von KMK-Bildungsstandards für die Sekundarstufe II konsequent fortgesetzt.
Die Ergebnisse des Ländervergleichs 2009, insbesondere im Fach Englisch, weisen auf den hohen Stellenwert der Lehrerbildung hin, die eines soliden fachlichen wie fachdidaktischen Fundaments bedarf. Die Länder werden ihre Anstrengungen verstärken, die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte weiter zu verbessern. Dies fügt sich in die sieben Handlungsfelder der KMK als Reaktion auf PISA 2000 ein, die eine nach wie vor gültige längerfristige Perspektive beschreiben.
Die Ergebnisse sind darüber hinaus Anlass, die von der KMK (4.3.2010) beschlossene Förderstrategie für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler und die damit verbundene Stärkung der individuellen Förderung konsequent umzusetzen, um den Anteil der Schülerinnen und Schüler, die am Ende ihres Bildungsganges ein Mindestniveau der Kompetenzentwicklung nicht erreichen, wesentlich zu reduzieren.
Die 16 Länder sind sich einig, dass Bildungsstandards nicht nur der Feststellung der Unterrichtsqualität, sondern zugleich auch der Weiterentwicklung des Unterrichts dienen. Daher soll die „Konzeption der Kultusministerkonferenz zur Nutzung der Bildungsstandards für die Unterrichtsentwicklung“ dazu beitragen, die Feststellung von Kompetenzständen für die Weiterentwicklung des Unterrichts nutzbar zu machen.
III. Anlage der Studie
Am Ländervergleich haben sich insgesamt 1.466 Schulen aus allen 16 Ländern (im Fach Französisch 297 Schulen aus sechs Ländern) beteiligt. Pro Schule wurde eine komplette 9. Klasse getestet, im Falle der Schulen, die an PISA teilgenommen haben, zusätzlich die Klasse, die die internationalen Testinstrumente am ersten Testtag bearbeitet hat. Getestet wurden insgesamt rund 36.000 Schülerinnen und Schüler. Die Länderstichproben berücksichtigen alle Schularten und Bildungsgänge des allgemein bildenden Schulsystems.
Nach jeweils 60 Minuten Testzeit im Fach Deutsch (Leseverstehen, Hörverstehen und Orthografie) und im Fach Englisch (Leseverstehen und Hörverstehen) erfolgte die Bearbeitung eines Schülerfragebogens, der Hintergrunddaten zu Schülermerkmalen, zur sozialen Herkunft, zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensverhältnissen in den Ländern liefert.
Die Ergebnisse für die einzelnen Länder werden auf Grundlage der aus internationalen Studien bewährten Metrik (500-er Skala) vorgestellt und miteinander verglichen. Dabei ist zu beachten, dass die Rangfolge von Ländern, deren Punktzahlen eng nebeneinander liegen, unter der Einschränkung von Schätzfehlern, die sich aufgrund von Stichprobenerhebungen ergeben, betrachtet werden muss. Ein systematischer Vergleich der Schularten über alle Länder hinweg ist aufgrund der Besonderheiten der Schulorganisation und der unterschiedlichen Bildungsbeteiligung nur für das Gymnasium möglich.
Auf Grundlage der Kompetenzstufenmodelle zu den Bildungsstandards in den Fächern Deutsch und Erste Fremdsprache für den Mittleren Schulabschluss werden in den Länderkapiteln zusätzlich die Ergebnisse von Schülerinnen und Schülern für die Bildungsgänge berichtet, die mindestens zum Mittleren Schulabschluss führen.
Die Kultusministerkonferenz hat sich für eine Veröffentlichung des Ländervergleichs im Zusammenhang mit PISA 2009 deutlich vor Veröffentlichung des internationalen Ergebnisberichts ausgesprochen, um die Ergebnisse für die Schul- und Unterrichtsentwicklung möglichst zeitnah nutzen zu können.
Die wissenschaftliche Gesamtverantwortung für den Ländervergleich liegt bei Prof. Dr. Olaf Köller, der das IQB bis Ende letzten Jahres geleitet hat und jetzt Direktor am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) an der Universität zu Kiel ist. Das IQB hat das IEA Data Processing and Research Center (kurz DPC) in Hamburg mit der praktischen Organisation der Untersuchung und der gesamten Datenverarbeitung beauftragt. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgte durch das IQB.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse finden Sie hier und weiterführende Informationen unter www.ipn.uni-kiel.de und www.iqb.hu-berlin.de.